Der deutsche Künstler Karsten Födinger hat an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe studiert. 2009 hat der Meisterschüler seine Ausbildung bei Professor Meuser abgeschlossen. Von Anfang an war Födinger nicht am Konzept der autonomen, ortsunabhängigen Skulptur interessiert. Er zieht es vor, künstlerische Eingriffe in vorgegebenen architektonischen Situationen vorzunehmen. Födinger bezieht dabei stets den historischen und kulturellen Kontext, in dem sich seine Skulpturen zu bewähren haben, mit ein.
Sein 2012 für den Sektor Art Statement an der Art Basel konzipierter Beitrag führte dies auf exemplarische Weise vor. Die mit dem Baloise Kunst-Preis ausgezeichnete Installation Defensive Reinforcement nahm Bezug auf ein wichtiges Ereignis in der Geschichte der Stadt Basel – das zerstörerische Erdbeben von 1356. Födinger stabilisierte und versperrte mit massiven Holzbalken eine Messekoje und schuf so ein paradoxes, spannungsgeladenes Raumgefüge.
Seine zumeist aus einfachen Baumaterialien gefertigten Skulpturen visualisieren die grundlegenden Kräfte, die bei der Herstellung und Stabilisierung dreidimensionaler Objekte am Werk sind. Statik und Bewegung, Tragen und Lasten, Diagonale und Horizontale, Masse und Leere sind die spannungsgeladenen Pole seiner zwischen Architektur und Skulptur angesiedelten Arbeiten. Födinger selbst äusserte die Ansicht, dass seine künstlerische Praxis weniger mit Architektur als mit Bautechnik zu tun habe.
In seiner Jugend entdeckte Födinger in einer Strasse seiner Heimatstadt Mönchengladbach Verstrebungen, die die Mauern zweier Häuser stützten. Diese „Urszene“, die massgeblich sein Verständnis von Skulptur prägen sollte, lässt Födinger heute wieder aufleben, in dem er in aller Welt einsturzgefährdete Gebäude fotografiert, die mit Gerüstkonstruktionen (englisch: trestles) stabilisiert werden. In diesem work in progress dokumentiert der Künstler auf sachliche und distanzierte Weise eine Vielzahl konstruktiver Lösungen. Sein mittlerweile umfangreiches fotografisches Archiv kann auch als ein Kompendium menschlicher Kreativität gelesen werden: So unterschiedlich wie die Gebäudetypen sind die an sie applizierten Stützkonstruktionen. Diese sind sichtbar oder nahezu unsichtbar, können filigran oder grob, zurückhaltend oder opulent sein. Oftmals handelt es sich dabei auch um den Versuch, mit grotesken Mitteln den der Materie innewohnenden Zerfallsprozess aufzuhalten.
Martin Schwander