Thomas Schüttes künstlerische Anfänge in den 1980er-Jahren waren von architektonisch anmutenden Modellen und Objekten geprägt, in die er zuweilen kleine Figuren stellte. In den 1990er-Jahren emanzipierten
sich die in die Architekturmodelle eingebetteten Figürchen von ihrem narrativen Kontext. Sie verselbständigten sich, wurden grösser und entstanden in unterschiedlichen Materialien. So modellierte Schütte zum Beispiel Figuren aus Fimo-Knetmasse, die er später riesenhaft vergrössert umsetzte und in Bronze giessen liess. Im Gegensatz zur bunten Knetmasse ist Bronze ein Werkstoff, der in der abendländischen Kunst für den Ewigkeitsanspruch der Skulptur (und des öffentlichen Denkmals) steht. Schütte zeigte sich jedoch auch stets empfänglich für Ausdrucksmittel, die nicht zum Kanon der modernen Kunst gehören. Werkstoffe wie glasierte Keramik und Muranoglas erhalten in seinem Schaffen eine zuvor kaum bekannte Sinnhaftigkeit. In dem in unterschiedlichen Medien zur Darstellung gebrachten Menschenbild wird deutlich, dass die Fragilität und Verletzlichkeit, aber auch das Absurde und Groteske menschlicher Existenz die
Triebfedern von Thomas Schüttes künstlerischem Schaffen sind.
Thomas Schütte hat bereits 1998 mit Flucht, einer Folge von zehn 1997 gezeichneten und aquarellierten Blättern, in die Kunstsammlung der Baloise Eingang gefunden. Seit dieser ersten Erwerbung hat die Baloise die Entwicklung seines künstlerischen Schaffens kontinuierlich verfolgt. Als die Planung des Baloise Parks Gestalt annahm, haben wir das Gespräch mit Thomas Schütte aufgenommen. Während mehrerer Jahre wurden in Zusammenarbeit mit dem Künstler unterschiedliche Optionen für die Platzanlage erwogen. Das anfängliche Interesse an einer Einzelfigur oder einer Figurengruppe verlagerte sich 2017/18 zu den monumentalen Fabeltieren, die nach und nach den Hof der Kunstgiesserei Kayser in Düsseldorf bevölkerten.
Aus diesem Bestiarium wählte die Baloise das 2017 entstandene Dritte Tier. Die erste Tierplastik war 2013 für die Ausstellung in der Fondation Beyeler entstanden. Seither thront auf der Nordseite des Museums inmitten eines Weihers der wasserspeiende Hase.
Dem Dritten Tier stellt Thomas Schütte in seiner Ausstellung im Kunstforum Baloise Frauenfiguren und Köpfe gegenüber. Ausgehend von einer auf einem Tischsockel kauernden (Frau Nr. 13, 2003, Bronze) und einer ausgestreckt liegenden Figur (Frau Nr. 17, 2009, Aluminium) zeigt Schütte Gesichter, die in Keramikplatten geritzt sind, und vollplastische Köpfe aus starkfarbigem Muranoglas und glasierter Keramik. Die Wahrnehmung der Figuren und Köpfe – die einen sind traumhaft entrückt, andere zeugen von einem prekären Daseinszustand – oszilliert dabei zwischen Anziehung und Betroffenheit.
Wir sind Thomas Schütte zu grossem Dank verpflichtet. Er hat die Einladung der Baloise angenommen, das neue Kunstforum Baloise, das zuvor während mehr als zwanzig Jahren in der Nachbarliegenschaft am Aeschengraben 21 zu Hause war, mit einer eigens für den Raum konzipierten Ausstellung einzuweihen. Der Künstler hat uns zudem für die Dauer der Ausstellung Werke aus seiner eigenen Sammlung zur Verfügung gestellt. In den herzlichen Dank an Thomas Schütte möchten wir Luise Heuter und Rupert Huber aus dem Studio des Künstlers einschliessen, die Ausstellung und Publikation mit grossem Engagement unterstützt haben. Gedankt für seinen Essay sei auch Dieter Schwarz, der dem Künstler seit seiner Zeit als Direktor des Kunstmuseums Winterthur freundschaftlich verbunden ist.
Spätestens seit der Einweihung der Plastik Drittes Tier im Baloise Park ist es nicht vermessen, Basel auch als eine Schütte-Stadt zu bezeichnen.