Trägerin des Baloise Kunst-Preises 2002.
Cathy Wilkes interessiert sich nicht für das Neue, Perfekte und Makellose. Näher sind ihr fragile, alltägliche Dinge, alte bescheidene Gegenstände, die vielleicht schon beschädigt sind, Spuren des Gebrauchs tragen und eine Geschichte haben. Aus ihnen schafft sie Installationen, die gefundene Objekte, Skulpturen und Zeichnungen umfassen. Jedes der Objekte in den Installationen besitzt dabei nicht nur eine eigene Geschichte, zusammen schaffen sie eine Szenerie, die von einer traumhaften Intensität und Eindringlichkeit gekennzeichnet ist.
Beim Zeichnen beginnt Wilkes nicht immer mit einem neuen blütenweissen Papier. So auch hier. Die drei Arbeiten bestehen aus verschiedenen Schichten, Überlagerungen und Überschreibungen. Die Blätter hat Wilkes einem Kunstkatalog entnommen. Die Katalogseiten enthielten einen Beitrag über den englischen Künstler Francis Bacon. Doch sind davon nur noch die Seitenzahlen sichtbar, denn die früheren Illustrationen hat Wilkes mit eigenen Zeichnungen übermalt. Die Zeichnungen zeigen ebenso technisch virtuos ausgeführte wie vieldeutige Figuren, die mittels Strichen aus Ölfarbe und feinen Bleistiftlinien bildmittig in Räume gesetzt sind. Liegt da eine Tote auf einer Bühne? Steht hier ein Mann im Gras? Ist dort eine menschliche Figur auf einem Boot zu sehen? In letzterer Zeichnung mit dem Titel «Little Joe» ist zudem ein weiterer Rahmen skizziert, sodass die Szene als Bild im Bild erscheint.
Und vielleicht ist eine gewisse Ähnlichkeit mit Motiven Bacons alles andere als zufällig. Bacon hat nicht nur immer wieder Figuren – oft in gequälten Haltungen – in Räumen gemalt, er hat in seinen berühmten Papstporträts auch die Werke alter Meister aufgegriffen. Damit hat er die alten Werke über- und weitergemalt und sich zugleich durch einen Akt, der ebenso respektvoll wie aggressiv war, in eine Genealogie gestellt.
Doch ist eine Weiterführung dieser künstlerischen Nachfolge hier nur unterschwellig angedeutet. Eine weitere Ebene kommt hinzu: Über die Zeichnungen hat die Künstlerin im Graffiti-Stil Sätze und Titel geschrieben wie «Votes for Women «Valerie Lecturing on the Planets»» (Frauenwahlrecht «Valerie referiert über die Planeten») oder ««Little Joe». Votes for Women» verweist auf die englische Frauenrechtsbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Frauen gingen damals an die Öffentlichkeit und machten mit Plakaten und Slogans auf ihre Anliegen aufmerksam. Es gab auch eine Zeitschrift gleichen Titels, die von 1907 bis 1918 publiziert wurde. Mit diesem Verweis auf die Anfänge der Emanzipationsbewegung wird ein für Wilkes’ Werk wichtiges Thema angesprochen: Immer wieder setzt sie sich mit der Stellung der Frau, weiblicher Arbeit und Erfahrungswelt auseinander. Die Zeichnungen verweisen auf Kunstgeschichte und gesellschaftliche Themen, haben dabei aber einen privaten, persönlichen Charakter, der Deutungen offenlässt.
Dora Imhof
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