*1976
-
Portrait of Mary Aurory 1972 (2003) Portrait of Mary Aurory 1972 Künstlerin / Künstler: Ryan Gander Datierung: 2003 Typ: Fotografie Material: Schwarz-Weiss-Fotografie Masse: 20 x 15 cm Zugangsdatum/Ankaufsdatum: 2005 Inventarnummer: 0967 Copyrighthinweis: © Ryan Gander, ProLitteris, Zürich; Fotos: Courtesy Künstler und Annet Gelink Gallery -
Portrait of Spencer Anthony Somewhere Between 1970 and 1973 (2003) Portrait of Spencer Anthony Somewhere Between 1970 and 1973 Künstlerin / Künstler: Ryan Gander Datierung: 2003 Typ: Fotografie Material: Schwarz-Weiss-Fotografie Masse: 15 x 20 cm Zugangsdatum/Ankaufsdatum: 2005 Inventarnummer: 0968 Copyrighthinweis: © Ryan Gander, ProLitteris, Zürich; Fotos: Courtesy Künstler und Annet Gelink Gallery
«Motivationsinstrument»(1) nennt der britische Konzeptkünstler Ryan Gander die von ihm erschaffenen fiktionalen Charaktere, die sich von Künstlersynonymen zum Kern und Inhalt seiner Arbeit entwickeln sollten. Das Potpourri aus ursprünglich fünf Persönlichkeiten – Spencer Anthony, Abbé Faria, Murray Jay Siskin, Jan Martin und Ryan Gander selbst – durchzog während eines Zeitraums von zehn Jahren in unterschiedlichen Konstellationen und Formaten sein gesamtes Werk.
Dass die Idee einer Gruppenschau der oben genannten, stark differierenden Alter Egos scheiterte – nicht die einzelnen Arbeiten, sondern das fiktive Gesamtkonzept des Künstlers stünde bei den Besuchern im Vordergrund –, hinderte Gander nicht daran, sich weiter mit ihnen zu beschäftigen. Er entwickelte ein Narrativ, das die Charaktere von Arbeit zu Arbeit immer stärker miteinander verband und ihnen schliesslich eine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zuschrieb. So erzählt Ganders Werktrilogie «Spencer, Forget about Good» (2001), «Mary Aurory Sorry» (2002) und «The Death of Abbé Faria» (2003) nicht nur eine Geschichte über Verlust, Schuld und Tod, sondern lässt den Betrachter auch über die komplexen Beziehungsgefüge zwischen den Figuren spekulieren.
Gander konfrontiert uns in seiner künstlerischen Praxis mit einer Reihe versteckter Hinweise. Er ermutigt uns, sie zu entschlüsseln und eigene Assoziationen zu entwickeln. Nur mit Halbwissen und Informationsfetzen ausgestattet, müssen wir die Lücken selbst füllen. Die endgültige Erzählung entsteht in unseren Köpfen, Fiktion und Realität gehen Hand in Hand.
Wie sehr die Erzählung der Interpretation des jeweiligen Betrachters unterliegt, wird in folgender Aussage deutlich, in der Gander seinen Arbeitsprozess mit einem beliebten Kinderspiel vergleicht: «Jemand zeichnet einen Kopf auf ein Blatt Papier, dann faltet er es um, und so weiter, bis der Körper komplett ist. So unterhaltsam ist das gar nicht, weil am Ende immer eine Gorilla-Enten-Kreuzung mit Strapsen herauskommt, doch es zeigt, wie drastisch sich Geschichten beim Weiterreichen von Mensch zu Mensch anpassen und verändern. Das Ausschmücken und Übertreiben liegen in der Natur des Menschen. […] Es muss eine Möglichkeit geben, diese Dinge im Kopf zu formulieren, bevor sie wirklich in der Welt umgesetzt werden können.»(2)
Die in der Kunstsammlung der Baloise befindlichen Schwarz-Weiss-Fotografien von Spencer Anthony und Mary Aurory ordnen sich nahtlos in das oben angedeutete Narrativ ein. Sie basieren auf Fotografien der Eltern des Künstlers: Das querformatige «Portrait of Spencer Anthony Somewhere Between 1970 and 1973» zeigt Ganders Vater rauchend am Strand. Im hochformatigen «Portrait of Mary Aurory 1972» blickt seine Mutter, ebenfalls am Strand, mit Sonnenbrille frontal in die Kamera. Die fiktive Geschichte der beiden Charaktere erzählt von einer heimlichen On-Off-Affäre. Ob dies der wahren Vergangenheit von Ganders Eltern entspricht oder nicht, bleibt ungewiss. Die Antwort bleibt dem Betrachter überlassen.
Marianne Dobner
(1) Stuart Bailey, «Character Building, Monster Consequences etc.», in: Ryan Gander, Appendix, hrsg. von Stuart Bailey u. a., Amsterdam 2003, S. 97–100, hier S. 97.
(2) «You know, someone draws a head on a piece of paper and folds it over, and so on until you get the whole body. That’s not as entertaining because you always end up with a gorilla-duck hybrid in suspenders, though it shows how drastically stories adapt and change when they travel through people. It’s human nature to elaborate and exaggerate. […] There has to be a way of formulating these things in your head before they can actually be executed in the world.» Zit. nach Bailey 2003 (wie Anm. 1), S. 100.