Man sollte die jungmädchenhaft dargestellte Frau, die in den meisten Werken von Zilla Leutenegger als Protagonistin agiert, nicht mit der Künstlerin selbst verwechseln, aber man darf in ihr doch ihr Alter Ego erkennen und sie auch Zilla nennen. Um Selbstbildnisse im klassischen Sinn handelt es sich bei den Bildern mit dieser Kunstfigur indes nicht, eher um das Porträt einer jüngeren Frau aus der Zeit, da die Künstlerin mit ihren Werken an die Öffentlichkeit trat: die frühen Jahre nach der Jahrtausendwende. «Ich arbeite mit mir als Figur, zum einen, weil es am einfachsten ist, mir die Regieanweisungen selbst zu geben und weil es am authentischsten ist.»(1) Massgeblich bestimmend für das Bild und die Charakterisierung dieser Figur ist das Setting, in dem sie sich bewegt. «Man kann sagen, ich mache das Bühnenbild, aber ich schreibe nicht das Theater.»(2) So umreisst die Künstlerin die Intention ihrer Arbeit, sei es in der Zeichnung, im Video oder in der Kombination der beiden Medien, in der animierten, projizierten Zeichnung oder in der Videoinstallation mit integrierter Zeichnung.
Die Requisiten in diesen Bildräumen sind allerdings nur das eine, wichtiger ist die besondere, schwer – am ehesten vielleicht als melancholisch – zu beschreibende Atmosphäre, welche diese Zeichnungen durchweht, eine Atmosphäre, die dem Vertreter einer älteren Generation unwillkürlich den Song «Lazy Sunday Afternoon» in Erinnerung rufen will. Es sind ganz reduzierte Momentaufnahmen, die von der Künstlerin als knappste Kammerspiele inszeniert werden.
Da werden keine Geschichten erzählerisch ausgebreitet, vielleicht sind es aber auf den essenziellen Gehalt kondensierte Geschichten. Oder es sind doch eher Bilder, die vielleicht nur den Keim zu möglichen Geschichten in sich tragen, die, formulierte man sie aus, in knappen und lakonischen Worten von der Befindlichkeit des Menschen mit seinen Erinnerungen berichten würden. In Gesprächen sagte Zilla Leutenegger dazu: «Die Figuren in meinen Zeichnungen und Arbeiten sind immer allein, im Sinne von allein und nicht einsam.»(3) Aber auch: »Ich sehe die Figur, die ja zumeist meine ist, als Exempel für den Menschen im Raum»(4), und als «eine Figur, in der man sich spiegeln kann»(5). Als idealen Besucher beschrieb sie jenen, «der selbst innehält, in sich kehrt, sich mit der Figur und ihrem Dasein solidarisiert« (6).
Die Bildsprache mag an Kinderzeichnungen erinnern, sie wirkt auch in den oft recht grossformatigen Blättern unprätentiös. Dabei beschränkt sich die eigentliche Zeichnung auf das reine Umreissen der Figur und der Gegenstände, das Bild wird aber meist ergänzt durch den konzentrierten Einsatz von Farbe, mit der wenige Stellen im dargestellten Motiv markiert werden. Dadurch eignet den Blättern auch etwas Collagehaftes. Die Zeichnungen sind einfach lesbar, die Bildsprache ist reduziert, das Mobiliar der inszenierten Räume, in denen sich die oft wie schlafwandlerisch ins Leere blickende Figur bewegt, überschaubar: Mit inhaltlich und formal einfachsten Mitteln evoziert Zilla Leutenegger in den Räumen ihrer Werke eine ganz besondere Atmosphäre.
Beat Wismer
(1) Inka Graeve Ingelmann im Gespräch mit Zilla Leutenegger, «Ring My Bell», in: Z – Zilla Leutenegger, Ausst.-Kat. Pinakothek der Moderne, München 2015, S. 61–73, hier S. 69.
2 Zit. nach Ralph Melcher, «Poesie des Raumes», in: Zilla Leutenegger. Wichtiger
Besuch, Ausst.-Kat. Saarlandmuseum, Moderne Galerie, Saarbrücken, Ostfildern
2006, S. 67–73, hier S. 69.
3 Graeve Ingelmann / Leutenegger 2015 (wie Anm. 1), S. 64.
4 Ebd., S. 70.
5 Zilla Leutenegger im Gespräch mit Dorothee Messmer, «Versuche, das Unmögliche möglich zu machen», in: Zilla und das 7. Zimmer, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Thurgau, Warth, Zürich 2008, S. 101–109, hier S. 103.
6 Graeve Ingelmann / Leutenegger 2015 (wie Anm. 1), S. 67.
Hauptnavigation
- DE
- EN