Trägerin des Baloise Kunst-Preises 2006.
«Ihre Zeichnungen gefallen mir nicht. Weil sie nicht will, dass sie mir – oder Ihnen – gefallen. Und genau deshalb sind sie so gut.» (Marlene Dumas(1))
Keren Cytter hat einmal behauptet, dass sie während eines Stromausfalls nicht an ihren Videos arbeiten konnte und so auf den Geschmack gekommen sei zu zeichnen. Das ist ein typisches Cytter-Statement: Mit trockenem Humor gibt sie eine Unwahrheit von sich, welche jedoch etwas zutiefst Wahres über sie enthüllt. Denn kontinuierlich versucht sie, mit unterschiedlichen Mitteln den Kontakt zu ihrer Umgebung aufrechtzuerhalten und auf sie zu reagieren.
Als das Konvolut der Baloise-Zeichnungen (2006–2008) entstand, gab es Instagram noch nicht. Die heute Instagram-süchtige Künstlerin verspürte aber schon damals einen obsessiven Drang, ihr Umfeld unaufhörlich zu beobachten und auf subjektive Weise festzuhalten.
Der israelische Schriftsteller und Kurator Avi Pitchon spricht in diesem Zusammenhang von Cytters «höchst gespannter Aufmerksamkeit » («high voltage level of attention»(2)). Interessanterweise widmet die Künstlerin ihre (beinahe) neurotische Aufmerksamkeit meist banalen Dingen. So wie ihre Filme häufig in einfachen Apartments – mit Vorliebe in der Küche – gedreht sind, handelt es sich auch bei ihren Kugelschreiber- oder Filzstiftzeichnungen um Momentaufnahmen ihres Alltags.
Die auf DIN-A4-Blättern realisierten blauen Kugelschreiberund Filzstiftzeichnungen von 2006 sind während Dreharbeiten in Rotterdam entstanden. Sie zeigen Zeitungsfragmente, Details von Cytters Mietwohnung und Ausschnitte aus Werbeanzeigen, welche die Künstlerin – wie sie mit einem Augenzwinkern bemerkt – in einem unbewussten Schaffensprozess gezeichnet hat. Cytter spricht von «Doodles», Mustern oder Darstellungen, die man auf ein Blatt Papier kritzelt, wenn man gelangweilt ist oder – zum Beispiel beim Telefonieren – an etwas Anderes denkt.
Die grösseren Farb- und Filzstiftzeichnungen geben Abbildungen aus einem Buch mit Postern von Hitchcock-Filmen wieder. Anstelle der Filmtitel hat die Künstlerin einige ihrer Lieblingswörter, wie zum Beispiel «Boredom!», eingesetzt und Porträts von Schauspielern eingefügt, mit denen sie kurz zuvor ihren von Roman Polanski inspirierten Film «Repulsion» (2006) gedreht hatte.
Keren Cytter ist in ihren Werken häufig selbst indirekt oder direkt präsent: entweder durch Objekte, die ihr gehören – wie der Wäschesack mit Camouflage-Muster – oder mittels Porträts. Hier ist es ihr bunt facettiertes Gesicht in einem schwarzen Spiegel.
Letizia Ragaglia
(1) «Her drawings do not please me. Because she does not want to please me, or you. This is what makes them so good.» Marlene Dumas, «Improvise. On the drawings of Keren Cytter», in: Keren Cytter, Ausst.-Kat. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Nürnberg 2007, S. 78–81, hier S. 81.
(2) Keren Cytter in Conversation with Avi Pitchon, «Anyone Who is Not Mentally Ill Likes a Happy Ending», in: Keren Cytter. I Was the Good and He Was the Bad and the Ugly, hrsg. von Hila Peleg, Ausst.-Kat. Kunst-Werke Berlin, Frankfurt am Main
2006, S. 72–101, hier S. 82.
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