Träger des Baloise Kunst-Preises 2009.
«Whiteout» ist der Titel einer Serie von Diapositiven des belgischen Künstlers Geert Goiris, die während zweier mehrwöchiger Aufenthalte in der Antarktis 2008 und 2009 entstanden sind. Die davon abgezogenen Farbfotografien dokumentieren das Leben von Menschen, die in den Forschungsstationen unter extremen klimatischen und materiellen Bedingungen arbeiten. Wichtigster Akteur ist jedoch zumeist die unendliche, von einem hellen, kristallklaren Licht erfüllte Eiswüste.
Goiris wählte den Titel «Whiteout» in Erinnerung an ein Erlebnis in der Eiswüste, das ihn nachhaltig geprägt hat. Während eines der beiden Aufenthalte erlebte er bei einer Fahrt zur Küste, wie sich aufgrund der diffusen Reflexion von gedämpftem Sonnenlicht die Kontraste der Umgebung in der Wahrnehmung stark verringerten. Die Helligkeitsunterschiede schienen plötzlich nahezu inexistent; die Horizontlinie verschwand; die Eiswüste und der Himmel gingen nahtlos ineinander über. Goiris machte die Erfahrung, sich in einem unendlich leeren Raum zu bewegen. Diese Grenzerfahrung kann zu einer starken psychischen Belastung führen, die sich in Beklemmung und Angstgefühlen äussert. Oftmals machen sich zudem Desorientierung und die Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns bemerkbar. Auf die damit einhergehenden Verschiebungen in der Selbst- und Wirklichkeitswahrnehmung spielt der von Goiris gewählte Begriff «Confabulation» an, den er 2009 als Titel für seine Ausstellung der «Whiteout»-Fotografien im Kunstforum Baloise gewählt hat. Es handelt sich dabei um den medizinischen Begriff für Erinnerungstäuschungen von Menschen, die vermeintlich erlebte Vorgänge als wahr bezeichnen.
Diesen Fotografien liegt zumeist ein einfacher konventioneller Bildaufbau zugrunde, der sich durch keinerlei verführerische oder manipulative Kunstfertigkeit auszeichnet. Die «Whiteout»-Bilder muten wie Dokumentar- oder Reportagefotografien an. Bei näherer Betrachtung offenbaren sie jedoch eine hintergründige Vielschichtigkeit.
Öde, einsame Landschaften an den Rändern der Zivilisation, in denen Menschen, Tiere und Pflanzen unter extremen Bedingungen leben, sind Goiris’ bevorzugte Sujets. Dieser bezeichnet den künstlerischen Ertrag seiner alle Kontinente umfassenden Erkundungen als «traumatischen Realismus»: Fotografie verstanden als ein Medium, das Ungewöhnliches und Unheimliches in der Alltagswelt zum Vorschein bringt.
Martin Schwander
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