In seinem filmischen Schaffen erkundet der schottische Fotokünstler, Filmemacher und Musiker Luke Fowler die Konventionen und Grenzen der biografischen und dokumentarischen Genres. Kaum bekannte oder vergessene Materialien aus Film- und Tonarchiven bilden die Grundlage für seine Porträts von faszinierenden, oftmals schillernden Persönlichkeiten aus der Geschichte der Alternativkultur, wie zum Beispiel des schottischen Psychiaters R. D. Laing (1927–1989) und des englischen Komponisten Cornelius Cardew (1936–1981).
Grundlegend für das Verständnis von Fowlers fotografischem Schaffen ist sein Umgang mit der analogen Technologie. Lichtreflexe, Unter- oder Überbelichtungen sind neben anderen fotografischen «Unzulänglichkeiten» und «Ungeschicktheiten» Teil einer künstlerischen Strategie, mit der sich Fowler der Vereinnahmung durch die verführerische Hochglanzästhetik der Konsumwelt widersetzt. «Perfect Lives» besteht aus zwanzig analog aufgenommenen Farbfotografien, die zwischen 2013 und 2015 entstanden sind. Die Fotografien zeigen Bilder, die Fowler beim Flanieren im Stadtraum, in einem Wartesaal, in einer Bar, beim Besuch einer Kirche, eines Reisebüros oder einer Druckerei aufgefallen sind.
Luke Fowler beschreibt seine Vorgehensweise so: «Die von mir fotografierten Bilder stammen von Amateuren und Berufsfotografen und repräsentieren diverse kommerzielle, architektonische oder gesellschaftliche Verwendungszwecke der Fotografie (ich rede hier von der Fotografie als Bild im realen, nicht im digitalen Raum); sie dienen der Überwachung, Beschämung, als Simulation oder politische Projektionsräume, als Reproduktionen und so weiter. Ich erweiterte meine Kriterien, um die Verwendung von Fotografien oder anderen grafischen Darstellungsformen von Raum als Ausgangspunkte für Kunst mit einzuschliessen (etwa Landkarten oder fotorealistische Gemälde). Auf meinen Reisen fiel mir auf, dass die Fotografie in der Stadt als Symbol der Langlebigkeit allgegenwärtig ist – Archivbilder auf Firmengebäuden und kommunalen Bauwerken verleihen der jeweiligen Trägerschaft oder Behörde den Anschein des Guten, Rechtschaffenen und Verlässlichen (ganz zu schweigen von der Sehnsucht nach einer unkomplizierteren, präglobalen Zeit). In diesen Fällen dient die Fotografie als Simulakrum der kompletten Verschleierung der heutigen, transnationalen kapitalistischen Aktivitäten – von den historischen Zusammenhängen ganz zu schweigen.»(1)
Dem «planlosen» Entstehungsprozess entgegengesetzt ist die vom Künstler vorgegebene Anordnung der zwanzig Fotografien, in denen minimale Erzählstränge aufscheinen. Mit der Verweigerung konventioneller Erzählstrukturen sensibilisiert Fowler den Betrachter für das Alltägliche und das Nutzlose, für das Zweckentfremdete und das Ephemere. Denn entlang dieser Bruchlinien zeichnet sich für Fowler die Geschichte der alltäglichen Dinge und unsere Art des Umgangs mit ihnen ab.
Martin Schwander
(1) «The images I photographed were taken by amateurs and professionals to represent a variety of commercial, architectural or social uses of photography (I refer to the photograph here as an image in physical space rather than in the digital realm) – they function as acts of surveillance, shaming, as simulation or politically projected space, as reproduction etc. I extended my criteria to include the use of photograph or other graphical representations of space as a source for art (e. g. the map, the photo-realist painting). In my travels I noted how photography is used around the city as a banner of longevity – archival images on corporate or municipal buildings consecrate the agency as good, honest and reliable (not to mention a nostalgia for simpler, pre-Global times). The photograph as simulacrum in these instances completely obscures current trans-national capitalist operations – not to mention an understanding of the historic.» Luke Fowler, E-Mail an den Verfasser, 16. Oktober 2019.
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