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Human Need Drain (1983) Human Need Drain Künstlerin / Künstler: Bruce Nauman Datierung: 1983 Typ: Arbeit auf Papier Material: Bleistift, Kohle und Wasserfarbe auf Papier Masse: 217,8 x 202,6 cm Zugangsdatum/Ankaufsdatum: 1986 Inventarnummer: 0507 Copyrighthinweis: © Bruce Nauman, ProLitteris, Zürich; Foto: Andreas F. Voegelin (Inv.-Nr. 0507)
In der Zeichnung hat Nauman schon früh ein Medium gefunden, das seinen plastischen Arbeiten adäquat war, denn es diente ihm ebenso als Projektionsfläche für Vorstellungen wie als Arbeitsfeld für das Überprüfen und Weiterentwickeln von Einfällen, deren Spuren er stehen liess. Mit der Zeit nahmen die Papierbogen grosse Formate an, sodass sie auf der Wand eine eigene Präsenz erhielten und die sinnliche Erscheinung der Objekte mit ihren Mitteln adäquat zur Geltung brachten. Dies gilt in hohem Masse für die vorliegende Zeichnung, in der das Relief der Buchstaben mit Wasserfarben ausgearbeitet ist, während der Hintergrund bloss summarisch angedeutet wird. Das dreiarmige Gebilde scheint von den Tunnelmodellen abgeleitet zu sein, mit denen sich Nauman in den Jahren zuvor ausgiebig beschäftigt hatte. Die Schrift evoziert wiederum die Neonarbeiten, die um dieselbe Zeit wie die Zeichnung entstanden. Diese Bezüge ergeben sich auch aus dem Wortlaut. So findet sich auf einer Zeichnung von 1978, die eine fünfteilige Konstruktion zeigt, die Beschriftung «DRAIN 1 + DRAIN 2», und tatsächlich könnte man die darin sternförmig auf einen zentralen Punkt zulaufenden Elemente als Abflusskanäle verstehen.(1) In der Neonarbeit «Human Nature»(2) leuchten die Wörter «HUMAN NATURE / ANIMAL NATURE» abwechselnd auf. Die Wortpaare sind spiegelbildlich zur Verzweigung der Arme von «HUMAN NEED / DRAIN» angeordnet, sodass die Natur als gemeinsamer Nenner von Mensch und Tier auftritt.
«HUMAN NEED / DRAIN» ist indes kein Pendant dazu, denn man ahnt, dass «Drain» eine Verballhornung von «Brain» ist: Das ursprüngliche Gegensatzpaar von Bedürfnis und Denken, von physischer und geistiger Ebene der Existenz, hat sich durch die Auswechslung eines Buchstabens aufgelöst, denn an die Stelle des sublimierten Denkens tritt der Abfluss, das Niedere, was in der Röhre verschwindet. Die idealistische Vorstellung, dass das menschliche Dasein zwischen sich ausgleichenden Polen verläuft, wird buchstäblich im Abfluss verschluckt.(3) Skeptisch deutet Nauman an, dass sich die Asymmetrie der sprachlichen Bedeutungen über die visuelle Symmetrie der Konstruktion legt.(4)
Dieter Schwarz
(1) Bruce Nauman. Zeichnungen 1965–1986, Ausst.-Kat. Museum für Gegenwartskunst, Basel; Kunsthalle Tübingen; Städtisches Kunstmuseum Bonn, Basel 1986, Nr. 372.
(2) Bruce Nauman. Exhibition Catalogue and Catalogue Raisonné, hrsg. von Joan Simon, Ausst.-Kat. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid; Walker Art Center, Minneapolis; Museum of Modern Art, New York, Basel 1994, Nr. 304.
(3) Der Ablauf selbst ist Gegenstand des Kaltnadel- und Aquatintadrucks Floor Drain (1985). Vgl. Bruce Nauman. Prints 1970–89. A Catalogue Raisonné, hrsg. von Christopher Cordes mit Unterstützung von Debbie Taylor, Ausst.-Kat. Castelli Graphics und The Lorence, Monk Gallery, New York; Donald Young Gallery, Chicago, New York 1989, Nr. 49.
(4) Ein verwandtes Gegensatzpaar erschien bereits zwei Jahre zuvor in der Lithografie Human Companionship / Human Drain, in der die Wörter «HUMAN DRAIN» innerhalb einer Spirale in die Tiefe verlaufen. Vgl. Ausst.-Kat. New York / Chicago (wie Anm. 3), Nr. 46.