DE EN
Künstler von A-Z Richard Serra

1938-2024

  • Robeson (1984)
    Robeson
    Künstlerin / Künstler: Richard Serra Datierung: 1984 Typ: Arbeit auf Papier Material: Ölkreide auf Siebdruck auf Papier Masse: 257,4 x 167,5 cm Zugangsdatum/Ankaufsdatum: 1986 Inventarnummer: 0506 Copyrighthinweis: © Richard Serra, ProLitteris, Zürich; Foto: Courtesy Künstler und Galerie M, Bochum
Dass ein Bildhauer das Medium der Zeichnung nicht als blosse Vorarbeit für die Skulptur, sondern als etwas ihr Analoges auffasst, versteht sich nicht von selbst. Es gibt den Bildhauer, der malerische Zeichnungen erschafft, wie etwa David Smith, und es gibt vor allem den Bildhauer, der in Studien Kontur und Tektonik der Skulptur linear entwickelt und ausponderiert. Für einen Bildhauer, der die Skulptur nicht als Figur, sondern als Masse im Raum betrachtet und sich nicht auf die Wahrnehmung der Skulptur als Bild, sondern auf die Konfrontation von Betrachter und Skulptur, auf das Erleben der Umgewichtung, welche die Skulptur dem Raum antut, ausrichtet, muss die Zeichnung eine dieser Erfahrung adäquate Form erhalten. Dies ist der Fall bei Richard Serra, der auf ein umfangreiches zeichnerisches Oeuvre zurückblicken darf. Ziemlich schnell bewegte er sich von ersten Blättern, die Darstellungen von Skulpturen oder ihren Elementen zeigen, weg zu Arbeiten, in denen er eine grundsätzlich neuartige Auffassung der Zeichnung realisierte. Dies geschah im Laufe der 1970er-Jahre, und mit der veränderten Sicht der Zeichnung ging eine Veränderung der Technik und der Übergang vom tisch- zum wandgrossen Format einher: Zeichnen hiess, eine jede Handlichkeit übersteigende Fläche dicht mit schwarzer Ölkreide zu bedecken, sodass die so entstandene Form auf der Wand plastische Präsenz gewann.

Die Gattungen Zeichnung und Druckgrafik kommen sich im vorliegenden Blatt sehr nahe, denn Serra entwickelte eine unkonventionelle Drucktechnik, die der Ausführung und Wirkung seiner Zeichnungen sehr ähnlich ist, mit dem Unterschied, dass in diesem Fall eine kleine Auflage von 15 Exemplaren hergestellt wird. Von der üblichen Druckgrafik unterscheidet dieses Blatt, das zu den Ersten seiner Art zählt, schon allein das übergrosse Papierformat. Zunächst wurde im Siebdruck die flächige Figur in mattem Schwarz gedruckt. Darüber legte Serra zwei weitere schwarze Farbschichten, indem er durch das Sieb schwarze Ölkreide auf den schwarzen Grund auftragen liess, um auf diese Weise der Fläche sowohl physische Dichte wie eine taktile Struktur zu verleihen. Das Ergebnis ist denn auch weniger ein Bild als eine klar konturierte Figur, die auf der Wand und im Moment der Begegnung mit dem Betrachter ihre Bedeutung gewinnt, denn sie zeigt keine Abbildung, sie ist selbst Teil der von ihr geschaffenen Situation. Vor dem Blatt ist der Betrachter überwältigt, da die Figur ihn weit überragt und da er sie allein in den Kategorien von Position und Gewichtung zu begreifen vermag. Dazu trägt das von keiner Zeichnung gebrochene Schwarz bei, das ihm als reine Masse gegenübertritt.

In Serras Werk mögen die beiden Zeichnungen «Spine I» und «Spine II» von 1983 eine Rolle als Vorläufer zu «Robeson» gespielt haben, ihre Titel weisen auf die vertikale Disposition einer menschlichen Figur hin, deren kaum spürbare seitliche Neigung sich unmittelbar mitteilt. «Robeson» bezieht sich auf den schwarzen Sänger, Schauspieler und Bürgerrechtler Paul LeRoy Robeson (1898–1976) – das rein Faktische der Arbeit ist jedoch bloss Hinweis und keine Illustration.

Dieter Schwarz